Laufend eine Stadt zu erkunden halte ich für eine geniale Sache um relativ schnell und einfach viel von einer Stadt zu sehen. Je nach Kondition kann man sich einen schnellen Überblick verschaffen oder tatsächlich die wichtigsten Punkte laufend besuchen. Die Schwierigkeit beim Laufen in einer neuen Stadt ist es eine geeignete Laufstrecke zu finden, nicht alle Läufer haben dieselben Vorlieben. Der eine mag es flach auf der Straße, der andere ist lieber im Park unterwegs und der nächste will einen Trail über Stock und Stein laufen. Doch zurück zum Thema selbst. Wenn man in einer fremden Stadt unzählige Möglichkeiten hat, kennt man sich in einer Stadt nicht aus, man weiß weder wo man sich etwas ansehen sollte, bzw. wo die verkehrsärmsten Strecken dorthin sind.
Neben dem Laufen ständig auf das Smartphone zu sehen um die nächste Abbiegung zu finden, halte ich persönlich für ziemlich störend. Doch darüber hinaus gibt es zumindest bei modernen Laufuhren die Möglichkeit eine Strecke vorab zu markieren und sich von der Uhr die Richtung weisen zu lassen. Doch auch diese Variante ist mit einer Menge Vorarbeit verbunden, da man sich wie bereits erwähnt in der fremden Stadt nicht auskennt. Sich über Foren oder Facebook mit Läufern vor Ort zu verbinden halte ich ebenso für äußerst schwierig - nicht weil Läufer Eigenbrödler sind - eher zwecks gemeinsamer Terminfindung. Städtetrips sind meist zeitlich kurz bemessen und mit Programm vollgepackt.
Wer hat schon mal von Sightjogging gehört? Begleitet wird man von einem lokalen Läufer, der einem je nach Fitness und Tempo zugeteilt wird und die Stadt während eines moderaten Laufes erklärt. Klingt ziemlich genial und das ist es auch. Ich habe schon manches Mal daran gedacht, wenn wir eine Reise in eine neue Stadt geplant haben, doch irgendwie hat es nie gepasst und so bin ich immer alleine gelaufen und dabei auf die oben genannten Probleme gestoßen. Wobei es nicht tatsächliche Probleme sind, es wäre ab und zu nur schön, wenn man die Zeit etwas effektiver nutzen kann und neben einer schönern Laufrunde auch noch die Stadt gezeigt und erklärt bekommt.
Ein weiterer Punkt, der beim Planen einer Laufrunde in einer neuen Stadt auch immer in Betracht gezogen werden sollte, ist die Sicherheit. Tageszeitabhängig sollte man nicht in jeder Stadt unbekümmert in jeder Ecke laufen, da die meisten Läufer zumindest eine mehr oder weniger teure GPS Uhr tragen und sehr viele auch noch das Smartphone zwecks Musik dabeihaben. Beide Objekte können in manchen Ecken eine Begierde auslösen. Dabei will ich gar nicht den Teufel an die Wand malen, aber wer sich in einer Stadt nicht auskennt, der kann auch schnell mal in eine dunkle Gasse geraten.
Genau diese Frage habe ich mir sofort gestellt als schlussendlich klar wurde, dass wir für ein paar Tage nach Brüssel reisen. Wie vor jeder Reise habe ich natürlich gleich recherchiert was es zu sehen gibt und wo man gut laufen kann. Ich nutze dafür sehr gerne die Heatmap in meinem Suunto Account (Movescount). Hier kann man sehen wo andere Menschen mit ihrer Suunto Uhr laufen. Farblich gekennzeichnet sieht man schnell wo die beliebtesten Strecken sind. Ich habe mit der Heatmap auf vielen unserer Reisen sehr gute Erfahrungen gemacht und kann diese Vorgehensweise weiterempfehlen.
Doch gibt es nun auch ein Angebot für Sightjogging in Brüssel? Gespannt habe ich die Suchmaschine durchforstet und bin auch sehr schnell zu einem Ergebnis gekommen: Ja, in Brüssel gibt es ein Team aus Läufern, die ein Sightjogging-Angebot bereit stellt. Noch schnell unseren Terminkalender durchforstet und leider dabei festgestellt, dass unsere Tage in Brüssel mit Programm vollgepflastert waren. Aber dieses Mal lasse ich mir diese Chance nicht durch die Lappen gehen, dachte ich. Sofort habe ich eine Anfrage gestellt, ob es auch um 6.00 Uhr morgens möglich ist einen Lauf zu buchen. Eigentlich laufe ich in Städten ohnehin morgens viel lieber, wenn die Straßen und Plätze leer sind, man ohne Gedränge an den tollsten Orten alleine steht. Als dann kurze Zeit später eine Zusage kam, war ich in bester Laune und habe mich doppelt soviel auf unseren Brüsseltrip gefreut.
Endlich ist der Tag gekommen. Am Vortag waren wir bereits mit einem Stadtführer unterwegs, der uns die typischen Sehenswürdigkeiten der EU Hauptstadt gezeigt und erklärt hat. Ich liebe grundsätzlich Stadtführungen. Eine Stadt wird erst interessant, wenn man die vielen kleinen Geschichten zu den einzelnen Gebäuden und Plätzen kennt. Darüber hinaus ist es meist die Geschichte, die eine Stadt zu dem gemacht hat was sie heute ist.
Der Wecker läutet um 5.30 Uhr, ich mache mich fertig und bin pünktlich um 6.00 Uhr an der Rezeption, wo mich Caroline von den Brussels Sightjoggern freundlich begrüßt und mir eine kurze Einweisung gibt, wie unser Lauf funktioniert. Ich war in guter Kondition und wusste, dass mich die vorgegebene Pace nicht vor Probleme stellen würde. Aber wie bereits erwähnt, richten sich die Laufguides nach der individuellen Kondition.
Und dann ging es auch schon los. In gemütlichen Tempo ist Caroline vor mir hergelaufen und hat mir morgens um 6.00 Uhr Brüssel gezeigt, wir sind an vielen verschiedenen Orten gewesen. Unter anderem hat mir Caroline auch den königlichen Aufzug im Bahnhof von Brüssel gezeigt, auch wenn dieser heute nicht mehr benutzt wird, sind es dennoch tolle Anekdoten. Genau solche Stories liebe ich und freue mich von meinem Guide zu hören.
Wir waren am Königspalast und haben nachgesehen, ob der König im Palast oder in den Ferien ist. Und nein, wir mussten dazu nicht ins Schloss einbrechen. Man sieht die An- oder Abwesenheit daran, ob die Fahne gehisst ist oder nicht. Caroline hat mir den schönsten Ausblick auf die Hauptstadt von Belgien gezeigt. Das Schönste daran war, dass wir so gut wie überall allein waren. Selbst am Mannequin Piss waren wir mutterseelenalleine morgens um halb 7.
Nach ein bisschen mehr als einer Stunde und in etwa 10 Kilometer in gemütlicher Pace waren wir auch schon wieder zurück und ich habe eine Menge gelernt und war äußerst dankbar für dieses tolle Erlebnis und die vielen kleinen Geschichten, die mir Caroline neben dem Laufen erzählt hat.
Zum Abschluss gab es dann noch eine Schokolade und eine Flasche Wasser. Das war mit Abstand der beste und interessanteste Stadtlauf, den ich jemals hatte und ich kann dieses Erlebnis uneingeschränkt jedem empfehlen.
Nach dem morgendlichen Lauf gab es erstmal ein ordentliches Frühstück um gestärkt in den Tag zu starten, denn das war bei weitem noch nicht alles, was wir an diesem Tag in Brüssel geplant hatten. Wie eingangs schon erwähnt, finde ich es fantastisch von einem ortskundigen Menschen die Geschichten um die Gebäude und Stadt zu hören und jederzeit Fragen stellen zu können. Ich finde diese Art eine Stadt zu erkunden sehr viel interessanter, als von Punkt zu Punkt zu marschieren und im Grunde nichts darüber zu erfahren.
Für den Nachmittag hatten wir eine Führung mit Lionel über die Brussels Greeters geplant.
Die Brussels Greeters sind eine Non Profit Organisation, die aus Locals besteht, welche dir gerne "Ihre Stadt" und "Ihre Sicht" auf die Dinge zeigen und erklären wollen. Das Programm ist als Teilnehmer völlig kostenlos, allerdings freuen sich die Greeters über freiwillige Spenden. Das Tolle an den Greeters ist, dass es keine ausgebildeten Fremdenführer sind und sie dich mit auf eine Reise in ihre eigene Welt nehmen.
Pünktlich auf die Minute treffen wir Lionel von den Brussels Greeters nicht unweit unseres Hotels in der Innenstadt von Brüssel. Nach einem kurzem Smalltalk geht es auch schon los. Lionel arbeitet als Lehrer, er ist um die 30 Jahre alt und wirkt sehr belesen. Gleich schießen wir auch schon los mit unseren Fragen, die sich in uns die letzten beiden Tagen in Brüssel aufgestaut haben. Mit aller Ruhe und sichtlich Freude an unserem Interesse beantwortet er sehr gelassen unsere Fragen und gibt uns auch zu sensiblen Themen wie den Anschlägen im März 2016 Auskunft und erklärt uns seine Sicht der Dinge.
Wir gehen ganz gemächlich der Senne entlang, plaudern vor uns hin und Lionel erzählt und erzählt, die Temperaturen sind angenehm und wir genießen die vielen Einzelheiten und Geschichten, die er ganz nebenbei und nicht einstudiert zum Besten gibt. Wir marschieren durch einige Viertel und ohne damit gerechnet zu haben stehen wir plötzlich vor dem Europäischen Parlament. Mächtig und groß wirkt es, wenn man daran vorbei schlendert und sich vorstellt welche Entscheidungen dort getroffen werden. Wir passieren einen Triumphbogen und Lionel erzählt uns warum es für ihn so wichtig ist, anderen Menschen seine Stadt zu zeigen, sein Bild von Brüssel zu verbreiten und damit auch die Anschläge ein wenig aus dem Bild der Öffentlichkeit zu rücken, denn Brüssel ist und kann soviel mehr sein.
Wir waren bereits 2 Stunden unterwegs, als er fragt ob wir Durst haben und typisch für Belgien ein Bier mit ihm trinken möchten. Er kennt eine nette Bar nicht unweit von dem Ort, wo er wohnt. Wir freuen uns und wollen sehr gerne das normale Leben in Brüssel kennenlernen. Beim Bier erzählt uns Lionel über seine Ausbildung, wie man in Belgien aufwächst, die Herausforderungen, welche die Stadt mit sich bringt, aber auch die Probleme.
Nach wie vor interessiert will er uns zum Abschluss noch etwas zeigen, wir gehen durch einen Park mit Ententeich beobachten die Tiere und wandern weiter durch ein paar Seitenstraßen. Die Gegend wirkt äußerst ruhig und beschaulich. Doch ehe wir es uns versehen, biegen wir in ein neues Viertel.
Wie aus dem Nichts heraus wird es plötzlich laut, Menschen verständigen sich von einer Seite der befahrenen Straße auf die andere, mittels lauter Rufe. Die Menschen tragen bunte Kleidung. Der Geruch von Afrika liegt in der Luft, in kleinen Geschäften an der Straße wird Essen verkauft, es wird gegrillt und vor allem ganz laut getrascht und viel gelacht. Innerhalb von wenigen Metern hat sich das Aussehen von Brüssel komplett verändert. Man könnte auch irgendwo in Afrika stehen und es würde nicht viel anders aussehen. Unglaublich, Matonge muss man bei seinem Trip nach Brüssel unbedingt einplanen und sich von dem geschäftigen Treiben in den Strassen einfach mitreißen lassen.
Das war ein würdiger Abschluss für unsere Tour mit Lionel von den Brussels Greeters, er bringt uns wieder in die Nähe unseres Hotels und wir bedanken uns für seine ausgiebige Tour mit uns durch sein Brüssel. Insgesamt waren wir mit Lionel knapp 4 Stunden unterwegs und haben sage und schreibe 16 Kilometer zurückgelegt.
Egal ob Stadtführung, Sightjogging oder Brussels Greeters, jede Tour hatte seinen eigenen Charme. Alles zusammen war einfach unglaublich und wir haben soviele interessante Geschichten über Brüssel erfahren. Und kaum eine Führung hat sich mit der anderen Überschnitten. Meine äußerst positive Erfahrung mit den Brussel Sightjoggern werde ich bestimmt in einer anderen Stadt wiederholen und die Brussel Greeters mit Lionel waren eine Klasse für sich. Also, ihr habt die Qual der Wahl, es gibt viel zu sehen in Brüssel, nehmt euch Zeit und taucht ein!
Du bist auf der Suche nach weiteren Informationen zu Brüssel? Hier findest du Reiseführer zu Brüssel und Belgien!
Vielen Dank an VisitFlanders für die Unterstützung bei unserer Reise durch Flandern. Alle Meinungen und etwaige Begeisterungsstürme entstammen jedoch unserem Mund.
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